Ruth Priese
Ruth Priese     Körper- und systemisch orientierte Begleitung von kleinen und grossen Menschen

                                                        AUSGEWÄHLTE EIGENE TEXTE


Zur Entwicklung sozialer Kompetenz der Lehrerinnen und Lehrer für das Unterrichten im neuen Ethikfach in Berlin – Hoffnung auf eine weitere Dimension  in der LehrerInnenbildung
[1]

1. Die Herausforderung
2. Beziehungsqualität und Lernen in der Literatur
3. Meine Empfehlungen

1. Die Herausforderung

Die Entscheidung des Berliner Abgeordnetenhauses für die Einführung eines verbindlichen Ethikunterrichtes für alle SchülerInnen in den Klassenstufen 7-10 der Stadt ab dem Schuljahr 2006/2007 signalisiert m. E. erfreulicherweise auch ein Wahrnehmen der – und ein Reagieren auf die extrem verunsichernde Situation von Kindern und Jugendlichen in der gegenwärtigen gesellschaftshistorischen Situation: Untersuchungen rechneten beispielsweise bereits im Jahr 2000 mit 50% Jugendlichen in Deutschland mit chronischen psychosomatischen Gesundheitsstörungen und 15% mit krankheitswertigen Depressionen, Angst- und Essstörungen oder Auffälligkeiten aus dem Spektrum der Borderline-Störungen[2]

Damit stehen Erwartungen und Anforderungen an die Schule generell und an die Qualität des Ethikunterrichts im Besonderen zur Disposition, wie sie anspruchsvoller nicht sein könnten. Auch die Lehrerbildung für dieses Fach wird dadurch herausgefordert, die Chance zu nutzen und weitere Wege zu suchen, um sich der Erfüllung dieser Erwartungen anzunähern. Die Gefahr der Überforderung sowohl der Lehrkräfte als auch die der DozentImmen in der Aus- , Fort- und Weiterbildung kann dabei m. E. nicht überschätzt werden.
Im Berliner Schulgesetz heißt es zur Zielbestimmung des Ethikunterrichts in § 12 u.a.: »...sollen die Schülerinnen und Schüler Grundlagen für ein selbstbestimmtes und verantwortungsbewusstes Leben gewinnen und soziale Kompetenz, interkulturelle Dialogfähigkeit und ethische Urteilsfähigkeit erwerben....«.
Ich möchte mich in Folgendem zu den Zielstellungen: Zugewinn an Selbstbestimmung und sozialer Kompetenz im Ethikunterricht und in der Bildung der Ethiklehrkräfte äußern. Denn diese Qualitäten sind für mich und viele die Grundlage dessen, was wir moralisches Verhalten nennen.
Für ihre Orientierung im unendlichen Angebot von Informationen und Möglichkeiten zur weiteren Gestaltung ihres Lebens brauchen junge Menschen heute neben beruflichen Qualifikationen und Urteilsfähigkeit mehr denn je: 1.) ein authentisches Selbstwerterleben und 2.) die Fähigkeit, souverän, d.h. ohne angstgeborene Abhängigkeit partnerschaftliche Beziehungen einzugehen (und gegebenenfalls wieder zu lösen).
Diese Aspekte von Ich- und sozialer Kompetenz können bekanntlich nur im Rahmen der biographischen Gegebenheiten erworben und gefestigt werden, die jeder (junge) Mensch mit seiner/ihrer Herkunft als Prägung mitbringt. Sie in ihrer schicksalhaften Unterschiedlichkeit anzunehmen und zu achten, danach die Grenzen der je eigenen Erlebens- und Handlungsmöglichkeiten zu erweitern, ist Lebensaufgabe eines jedes Menschen. Wege dafür zu finden, soll also nun auch der schulische Ethikunterricht in Berlin den Jugendlichen helfen.

2. Beziehungsqualität und Lernen in der Literatur

Volker Pfeifer
charakterisiert die diesbezügliche Gesprächslage zu didaktischen Fragen in der Fächergruppe LER, Ethik, Werte und Normen unter Bezug auf die KommunikationsklassikerInnen Reinhard Miller[3], Ruth Cohn[4], Carl Rogers[5], Marshall Rosenberg[6], Friedemann Schulz von Thun[7] u.a. mit folgenden Worten : »Was die Sozialkompetenz angeht, so scheint in den letzten Jahren ein zwar schleichender, doch im Ganzen unumstößlicher Paradigmenwechsel stattgefunden zu haben. Die Beziehungsebene ist neben der Sachebene immer deutlicher in den Vordergrund gerückt worden..... Nur auf dem Boden „geglückter“ kommunikativer Beziehungen ist ein erfolgreiches Lehren und Lernen möglich.... der ganze Unterricht ist ohne positive, klare Beziehungen beträchtlich eingeschränkt«.[8]
Pfeifer beschreibt in seiner Didaktik des Ethikunterrichts auf vielfältige Weise die zentrale Rolle von Ich- und Du-Kompetenz, nennt immer wieder die Selbstreflexion als Voraussetzung für gelingende Kommunikation. Ja, er erörtert auch, dass das moralische Urteil nicht automatisch moralisches Handeln zur Folge hat, dass dieses vielmehr eingeübt werden muss. Z. B. zitiert er I. Kant „... einen ´habitum´ hervorzubringen, der nicht natürlich ist, aber doch die Natur vertritt, die durch die Nachahmung und öftere Ausübung zum ´habitu´ wird“. Dennoch bleibt für meine Wahrnehmung bei Pfeifer Grundlage seiner Erörterungen und Empfehlungen die Überzeugung, dass für das Erreichen sozialer- und Ich- Kompetenz das Reflektieren des eigenen Verhaltens auf einer willentlich vom Individuum selbst steuerbaren, bewussten Ebene ausreiche. Die Dimension des Unbewussten unserer Bedürfnisse, Ängste und Sehnsüchte finde ich bei ihm weniger beleuchtet.. Erfahrungsgemäss rücken ja Inhalte unseres Vor- und Unterbewussten nur durch die liebevolle Spiegelung Anderer aus unserem sogenannten impliziten- oder Körper-Gedächtnis[9] in unser in Grenzen steuerbares Bewusstsein, das explizite Gedächtnis[10]. Ohne eine wohlwollende Umgebung sind solche Selbsterkenntnisprozesse in der Regel viel zu unangenehm.
Leider fand ich bei Pfeifer auch keine Hinweise auf die Notwendigkeit eines Trainings der Selbst- und Sozialkompetenz in der LehrerInnenbildung. Er konstatiert zwar: „Je differenzierter sich die Lehrperson wahrnimmt, sich ihrer Empfindungen, Motive oder Bedürfnisse bewusst wird, umso sensibler wird ihr Umgang mit den Mitmenschen, umso genauer kann sie sich in deren Befindlichkeiten hineintasten.“[11]. Aber er stellt nicht in Rechnung, dass wir uns über unsere Motive und Bedürfnisse oft täuschen und dass uns oft nur ein wohl gesonnenes, spiegelndes Gegenüber auf unsere blinden Flecken aufmerksam machen kann. Der Reflexion und möglichen sukzessiven Veränderung unserer unbewussten Verhaltens- und Erlebensanteile widersetzen sich in uns oft starke Abwehrkräfte.
Auffallend viele Neurobiologen haben sich in letzter Zeit zu menschlichem Lernen und Lehren generell geäußert. Ich zitiere exemplarisch einen von ihnen, weil die Erkenntnisse dieser jungen Wissenschaft m. E. besonders für moralisches Lernen gelten: Joachim Bauer etwa formuliert  (m. E. wesentlich konsequenter als Pfeifer) - u.a.: »...dass dort, wo Angst und Druck herrschen, eine weitere Fähigkeit abnimmt, die von der Arbeit der Spiegelsysteme lebt: die Fähigkeit zu lernen«[12].
»Die Entfaltung der neurobiologischen Grundausstattung des Menschen ist nur im Rahmen von zwischenmenschlichen Beziehungen möglich, Beziehungen, die aus dem persönlichen und sozialen Umfeld an das Kind herangetragen werden«.(Hervorhebungen R.P.)[13]
»Selbstgefühl, Kommunikationsfähigkeit, Wissen und Kompetenz entwickeln sich bei Kindern und Jugendlichen nicht von selbst..«14].
»Was die Gene bereitstellen, ist eine fantastische neurobiologische Grundausstattung. Sie bedient sich aber nicht von selbst, sie muss bedient und eingespielt werden, und zwar nicht nur, um dadurch in einen funktionstüchtigen Zustand zu kommen, sondern auch mit dem Ziel, diesen Zustand dann zu erhalten«[15].
»´Wenn ich sehe und gesehen werde, so bin ich´, Erst in den Spiegelungen der Erwachsenen kann ein Kind nach und nach erkennen, wer es selbst ist.«[16] 

»Zu beobachten,
wie ein anderer sich ein Problem vom Hals schafft, eine Apparatur bedient oder emotional mit einer brisanten Aufgabe umgeht, kann ein entscheidender Beitrag für meine eigene Kompetenz sein, wenn ich selbst die gleiche oder eine ähnliche Aufgabe zu bewältigen habe. Neurobiologisch gesehen ist beim ´Lernen am Modell´ die zwischenmenschliche Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden von überragender Bedeutung«[17]
»Da Lehrer bzw. Lehrerinnen nie ausschließlich als Stoffvermittler agieren können, sondern immer als ganze Person in Erscheinung treten, wird klar, dass effizientes Lehren und Lernen in der Schule nur im Rahmen einer gelungenen Beziehung zwischen Lehrern und Schülern möglich ist.... Das Hauptproblem liegt derzeit vielmehr darin, dass Lehrende – aus sehr unterschiedlichen Gründen – Schwierigkeiten haben, mit ihren Schülern eine Arbeitsbeziehung zu gestalten, die das Lehren und Lernen fördert«.[18]
»Die desolate Lage der Jugendlichen bedeutet, dass es für Lehrerinnen und Lehrer immer schwieriger wird, im Unterricht mit den Schülern jene förderliche Beziehung zu gestalten, ohne die es keinen Wissenstransfer geben kann.«[19]

Der große amerikanische Sozial- Anthropologe E. Erikson bezeichnete die Beziehungen zwischen den Kindern und ihrer sozialen Umwelt als einen zweiten »Schoß, der dem Kind erlaubt, seine einzelnen Fähigkeiten in bestimmten Stufen zu entwickeln und sie in einer Reihe psychosozialer Krisen zu einer Einheit zu verschmelzen«[20]

Entsprechend bescheinigen die Pisastudienergebnisse Finnland bekanntlich deshalb so hohe schulische Erfolge, weil dort den persönlichen Beziehungen zu jedem einzelnen jungen Menschen und die Würdigung eines jeden von ihnen viel größerer Wert beigemessen werde als z. B. in Deutschland. Die fundamentale Bedeutung wertschätzender Beziehungen zu den Kindern und Jugendlichen für deren Lernmotivation wird auch aus der geradezu universellen Erfahrung deutlich, dass Lehrer- u.a. Persönlichkeiten, von denen wir uns in unserer eigenen Schulzeit gesehen und geachtet fühlten und zu denen wir eine persönliche Beziehung finden konnten, uns zum Lernen und zur Übernahme von Haltungen und Einstellungen motiviert und inspiriert haben[21].
Auch den Neurobiologen zufolge ist das »Lernen am Modell« der Königsweg allen Lernens und die Achtung vor der Persönlichkeit jedes Schülers und jeder Schülerin die Grundlage für deren Lernmotivation. Deshalb muss m. E. den kommunikativen Kompetenzen, vor allem der Authentizität der Lehrerpersönlichkeiten und ihrer möglichst vorurteilsfreien Einstellung zu jedem der ihnen anvertrauten jungen Menschen in der Lehrerbildung mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, als es mir bisher in Deutschland üblich erscheint.

Es bleibt den Verantwortlichen aller Lehrerbildungsinstitutionen nicht erspart, die unbequeme Tatsache anzuerkennen, dass Echtheit und Ausstrahlung einer Persönlichkeit aus der Summe aller ihrer Ausdrucksformen besteht, der bewussten und der unbewussten. Ich zitiere dazu erneut J. Bauer: »Eine Sympathie erzeugende Übereinstimmung zwischen einer gegebenen Situation und der in dieser Situation gezeigten Körpersprache lässt sich nicht bewusst planen oder willentlich herstellen. Der Sympathieeffekt überträgt sich nur, wenn die Person spontan authentisch ist, das heißt, wenn ihr Ausdruck in Einklang mit ihrer tatsächlichen inneren Stimmung steht...«[22]
Reaktionen sehr kleiner Kinder und höherer Tiere (wie z. B. von Hunden und Pferden) auf ihnen zunächst fremde Menschen zeigen diese komplexe, nonverbale Wahrnehmung von Persönlichkeitsqualitäten sehr deutlich: sie wenden sich ab, wenn sie keine Stimmigkeit der Ausdrucksformen erleben.
Größere Kinder, Jugendliche und Erwachsene verbergen ihre Empfindungen leider häufig, um nicht Anstoß zu erregen. Dennoch entscheidet auch bei ihnen diese komplexe, größtenteils unbewusste Wahrnehmung, ob sie sich in der Gegenwart einer anderen, z. B. einer Lehrperson wohl- d.h. geachtet und sicher vor jeder Art von emotionalem oder körperlichem Missbrauch fühlen und dadurch zum Lernen motiviert werden oder eben nicht.
Für moralisches Lernen gilt das Gesagte in noch weit stärkerem Maße, denn »die Moral ist der menschlichen Beziehung inhärent«[23]. Mit diesem Zitat von ihm würde ich Walter Herzogs umfassende Studien zum moralischen Lernen zusammenfassen.

Aufbau oder Förderung eines gesunden Selbstwertbewusstseins in der Schule speisen sich aus dem  Erleben, von den MitschülerInnen und den Lehrkräften beachtet, geachtet und akzeptiert zu werden. Das ist angesichts gravierender Unterschiede in einer Schulklasse eine immense Herausforderung für die Lehrkräfte. Denn ihnen allein obliegt es, immer wieder die familiär bevorteilten Kinder und Jugendlichen einer Gruppe nach und nach dahin zu bringen, dass sie die Schicksalhaftigkeit anderer Herkunftsbedingungen ihrer KlassenkameradInnen sehen und achten lernen[24]. Jede vorgetäuschte, nicht aus einer inneren Haltung kommende Freundlichkeit z. B. erreicht das Gegenteil.
U.a. H. Niehues-Pröbsting nennt die Voraussetzung für die Fähigkeit zur Achtung anderer und zur Anleitung zu derselben: »Jede wirkliche Achtung ist Selbstachtung. Wer sich selbst nicht achtet, ist unfähig, andere zu achten.... Was der Selbstachtung Abbruch tut, mindert die Achtung und befördert Achtungslosigkeit und Verächtlichkeit«.[25]              Wenn etwa eine Lehrperson so wenig Selbstwerterleben hat, dass sie aus einem inneren Geltungsbedürfnis heraus das eigene Wollen und die eigenen kognitiven Kenntnisse in ihrer Wirkung auf ihre SchülerInnen überschätzen muss und dabei die Achtung vor der Einmaligkeit eines und einer jeden außen vor bleibt, werden die jungen Menschen weder in ihrem Selbstwertbewusstsein noch ihrer Kommunikationsfähigkeit gestärkt. Dann bleibt „moralisches Urteilen und Lernen“ bestenfalls ein schnell wieder vergessenes Geschehen in der Großhirnrinde der Beteiligten[26].

3.Meine Empfehlungen

Haltungen von Wertschätzung-Wärme-Zuneigung, Verständnis, Echtheit-Kongruenz[27], denen dieselben Haltungen der eigenen Person gegenüber zugrunde liegen, sind entweder das Ergebnis eigener (meistens sehr früher glücklicher) Erfahrungen eines Menschen, die sein Vor- und Unterbewusstsein geprägt haben. Oder aber sie sind (bei belastenden frühen Erfahrungen) das Ergebnis mühsamer Selbsterfahrungs- und Umlernprozesse Erwachsener im Kontakt mit einem oder mehreren verstehenden und spiegelnden Gegenüber. Änderungen – ich wiederhole - sind angewiesen auf ein liebevolles Hinterfragen des eigenen Erlebens und Verhaltens und der eigenen Wirkung etwa auf SchülerInnen. Veränderte Haltungen werden selten allein durch Willensakte in uns erzeugt oder befördert, weil sie in der Regel nicht lustvoll sind, sondern oft mit Trauer einhergehen. Hilfreich, ja m. E. notwendig  dafür sind die von Achtung und Wohlwollen getragenen Rückmeldungen Anderer. Deshalb sollte m. E. im Konzept einer künftigen Lehrerbildung für das Unterrichten in den Fächern Ethik, LER, Werte und Normen das soziale Lernen - zeitweise in möglichst geschlossenen (weil so für die TeilnehmerInnen emotional „sicheren“, angstfreies Reflektieren ermöglichenden) Gruppen - Grundlage der Didaktik für dieses Unterrichtsfach werden[28].

Das Reflektieren der je eigenen Ausstrahlung Anderen gegenüber wurde mit allen LER-LehrerInnen der Modellversuchszeit von 1992-1995 regelmäßig geübt. Das war oft sehr mühsam, u.a. auch, weil die Lehrkräfte aus der ehemaligen DDR dies von ihren vorangegangenen Ausbildungen her überhaupt nicht gewohnt waren. Dennoch haben die psychologisch begleiteten Gruppen der LER-Lehrkräfte während des Modellversuchs 1992-1994 und haben die Ergebnisse der »Fachübungen zur Kommunikation, Interaktion und zu Gruppenprozessen« in der späteren Weiterbildung von LER-LehrerInnen offenbar eine spürbare Wirkung gehabt [29].

Aus meinen Erfahrungen im Land Brandenburg während der genannten Zeit heraus möchte ich deshalb folgende Empfehlungen für die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften sowie für deren berufliche Begleitung in der Fächergruppe aussprechen:

1.)    Die Bereitschaft zur Selbstreflexion in Gruppen sollte Zulassungsbedingung für die Immatrikulation zu den Studiengängen Ethik, LER, Werte und Normen sowie für den Lehramtsstudiengang Praktische Philosophie und für die Fort- und Weiterbildungen für das Unterrichten in den genannten Fächern werden.

2.)    Fachübungen zu Kommunikation und Selbstreflexion sollten unerlässlicher Bestandteil des Studiums sowie der Fort- und Weiterbildung der zukünftigen Lehrkräfte in diesen Fächern werden. Dafür  reichen 6 Semesterwochenstunden (SWS)  nicht aus.

3.)    Der Erwerb bzw. die Förderung sozialer- und Selbst-Kompetenz sollte in der Aus- , Fort- und Weiterbildung von zukünftigen LehrerInnen dieser Fächer nicht von der Fachdidaktik getrennt sondern zu ihrem Fundament werden. Es sollten z. B. Unterrichtsmethoden nicht vermittelt werden, ohne die reale Beziehungsqualität zwischen den gerade an einem Seminar beteiligten Personen - als Modell auch der schulischen Realität - gemeinsam zu reflektieren.

4.)    Erkenntnisse über die Prägung der Entwicklung von  Menschen von ihrer Empfängnis an, vor allem die über die Folgen negativer Entwicklungsbedingungen ( Embryologie, Traumalehre, Säuglings-, Bindungs-, Aggressionsforschung und Neurobiologie) sollten unbedingt zum Lernpensum der Ethiklehrerbildung gehören [30].

5.)    Die Vorbereitung auf künftige Elternschaft sollte unbedingt Bestandteil des Unterrichts in den genannten Fächern sein. Es ist nötig, dass die existentiellen Grundbedürfnisse von Ungeborenen, Säuglingen und (Klein-)- Kindern[31] ebenso wie die Grundlagen partnerschaftlicher Beziehungsgestaltung Unterrichtsstoff in den genannten Fächern  werden (wo sonst kann einem leichtfertigen Umgang mit den zahlreichen Kindeswohlgefährdungen in Schwangerschaft und frühkindlicher Entwicklung besser vorgebeugt werden?).

6.)    Alle in diesen Fächern unterrichtenden Lehrkräfte sollten die berufsbegleitende Gelegenheit erhalten, sich in selbstreflexiven Übungen bzw. Supervisionsgruppen mögliche unbewusste negative Haltungen und Verhaltensweisen gegenüber SchülerInnen – als Resultat eigener biographischer Erfahrungen - bewusst zu machen und dadurch zu verändern.

7.)    Nur psychologisch geschulte Fachkräfte, die sich ausreichende Anteile ihres eigenen Vor- und Unterbewusstsein selbst hinreichend bewusst gemacht haben, die sich selbst achten und annehmen können und die so in der Lage sind, sich zu ihrem Gegenüber wohlwollend und akzeptierend zu verhalten, sollten als ModeratorInnen der Fachübungen zu Kommunikation und Selbstreflexion in der Aus-,  Fort- und Weiterbildung für die genannten Fächer sowie in der Berufsbegleitung eingesetzt werden.
                                                                                            R.P. Juli 2011
Anmerkungen
[1]
Ich war von 1992-1994 im Auftrag des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg Koordinatorin der „Psychologischen Begleitung“ der Lehrerinnen und Lehrer im Modellversuch Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde  (LER) und Mitglied der Arbeitskommission zur Erstellung der „Hinweise zum Unterricht im Modellversuch“ Sek. I der MBJS 1994.
Dieser Text ist eine erweiterte Fassung  meines Diskussionsbeitrags während des Expertenhearings des „Forums Gemeinsames Wertefach für Berlin“   am 26. Juni 2006 im Abgeordnetenhaus Berlin.
[2]
   „Jugendstudie Stuttgart 2000“ nach Joachim Bauer (2005): Warum ich fühle, was Du fühlst – intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone; 7. Aufl. .Hoffmann u. Campe Hamburg, S. 117; vgl. auch die Zusammenfassung der Wertvorstellungen Jugendlicher und die ausgezeichnete Beschreibung der extrem unterschiedlichen Ausgangslage und so auch Verhaltens von Kindern und Jugendlichen mit einem schwachen bzw. einem positiven Selbstkonzept bei V. Pfeifer (2009): Didaktik des Ethikunterichts – Bausteine einer integrativen Wertevermittlung, Kohlhammer Vlg. Stuttgart, S. 15-27 und S. 53.
[3]
      Beziehungsdidaktik,Weinheim 2003
[4]
      Von der Psychoanalyse zur themenzentrierten Interaktion. Stuttgart 1997
[5]
      Die Entwicklung der Persönlichkeit, München 1989
[6]
      u.a. Gewaltfreie Kommunikation, Junfermann Vlg. Paderborn 2004
[7]
      Miteinander reden - Störungen und Klärungen,rororo 1981
[8]
      Kohlhammer Vlg. Stuttgart 2009, S. 269
[9]
      die Unterscheidung von implizitem und explizitem Gedächtnis u.a. bei Babette Rotschild: Der Körper erinnert sich, Sythesis Vlg. Essen 2002
[10]
      Wenn er z. B. auf S. 123 unter»Ichkompetenz«“ schreibt: »Nur wenn die Lehrperson sich ihrer eigenen Gefühle oder Werthaltungen bewusst ist, kann sie im Gespräch hinreichend frei und beweglich agieren«. Dieses Bewusstwerden, ist oft mit starken negativen Emotionen verbunden und deshalb scheut sich unser Gehirn oft davor, wenn es nicht gleichzeitig Zuwendung genießen darf.
[11]
       a.a.O. S. 269
[12]
     Joachim Bauer , a.a.O. S.35. Vgl. auch die entsprechenden  Arbeiten anderer Neurobiologen wie z. B. Gerhard Roth, Gerald Hüther, Antonio Damasion oder Marco Rauland.
Wenn ich etwa als Lehrkraft in meiner eigenen Geschichte viel Angst und Druck erlebt und so verinnerlicht habe, so werde ich diese unbewusst an Abhängige weitergeben, wenn ich mir nicht zuvor meine eigene Geschichte bewusst gemacht und gegebenenfalls betrauert habe.
[13]
      a.a.O. S. 118
[14]
      a.a.O. S. 118
[15]
      a.a.O. S. 118
[16]
      a.a.O. S. 119
[17]
      a.a.O. S. 122-123
[18]
      a.a.O. S. 123. Also muss m. E. alles daran gesetzt werden, dass Lehrkräfte die notwenige Unterstützung erhalten, um diese Beziehungen zu ihren SchülerInnen aufzubauen und zu erhalten.
[19]
       a.a.O. S. 125
[20]
      Einsicht und Verantwortung, 1992, Fischer Frankfurt /M. S. 102
[21]     Dass eine respekt- und zugleich liebevolle Beziehung zu Kindern und Jugendlichen jede Art von »Gebrauch« oder gar „Missbrauch“ peinlichst ausschließt, gehört für mich zur pädagogischen Verantwortung. Und gerade weil  im pädagogischen Alltag Situationen nicht zu vermeiden sind, in denen sich Gefährdungen des respektvollen Abstandes zu den Anvertrauten ergeben, halte ich Supervision für alle pädagogischen Tätigen für ebenso unerlässlich wie für alle TherapeutInnen.
[22]
       a.a.O. S. 49
[23]
     Das moralische Subjekt, - pädagogische Intuition und psychologische Theorie, Vlg. Huber, Bern, Göttingen, Toronto 1991, S. 344. Um die Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen wird m. E. gerungen in allen den vielen Bemühungen, das Lernen von Kindern und Jugendlichen angesichts des Machtgefälles zwischen ihnen und den Lehrenden human zu gestalten, von der griechischen Antike an über z. B. Rousseau, die Reformpädagogik, Freinet und Montessori, die Landerziehungsheime, A. S. Neill bis hin zu den Übersetzungen therapeutischer Einsichten in den pädagogischen Bereich, z. B. in der „Themenzentrierten Interaktion“  (TZI) von R. Cohn und in  vielen anderen Methoden.
Bereits in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts wiesen R. und A. Tausch in breit angelegten Untersuchungen nach, dass»Wertschätzung-Wärme-Zuneigung; Verständnis; Echtheit-Kongruenz«, welche Lehrkräfte ihren SchülerInnen entgegen bringen, die Lust am Lernen befördern. Sie nannten auch »Bedingungen der Änderung des Lehrer-Erzieherverhaltens«  (in: Erziehungspsychologie, 6. Aufl.Hogrefe Göttingen 1971, S. 317-463, vgl. auch R. Tausch  in PÄDAGOGIK 11/99 S. 38-41: »Achtung und Einfühlung – Kompass für didaktische und erzieherische Handlungen von Lehrerinnen und Lehrern«.
Auch für I.Kant war bekanntlich die Achtung das moralische Gefühl schlechthin.
K. Singer, Autor von Die Würde des Schülers ist antastbar, rororo Reinbek 1998, formuliert: »Wenn Selbstwert gestört ist, ist die Leistungsfreude weg«.
Die Pionierin einer Didaktik für LER, U. Pfender schrieb: »...dass die Fähigkeit, Ängste zu äußern, erst eine Folge der vorher empfundenen Freude und Selbstbestätigung war »(in: Und wie geht’s Herrn und Frau L.? - Annäherungen an eine Schüler- UND Lehrerfreundliche Didaktik/Methodik in Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde, Berlin 1995, Selbstverlag S. 36).
1990 veröffentlichte der kalifornische Staat den Abschlußbericht einer »Kommission zur Förderung von Selbstachtung und persönlicher und sozialer Verantwortlichkeit« . Es heißt darin: »..  die Förderung der Selbstachtung der Eltern selbst ... ist bei Weitem das entscheidende und wesentliche Element!», zitiert in: Th. Harms (Hrsg.2000): Auf die Welt gekommen, U. Leutner Berlin, S. 96/97.
[24]
          Für mich vorbildhaft in diesen Fragen ist die Arbeit der Lehrerin und Familienaufstellerin Marianne Franke-Griksch: „Du gehörst zu uns!“.Carl-Auer-Systeme Verlag Heidelberg 2002
[25]
          (in: „Ethik und Unterricht“ 1/2001 S. 9):
[26]
            Das ist leider immer dann der Fall, wenn etwa im Rahmen philosophischer Ethik die moralische Urteilsbildung nach L. Kohlberg zum dominierenden  Inhalt eines Ethikunterrichts gemacht wird.
[27]
            Begriffe aus  den genannten Untersuchungen von A. und R. Tausch
[28]
     Volker Pfeifer fragt am Ende  seiner Didaktik des Ethikunterrichts – Bausteine einer integrativen Wertevermittlung, nach einer »Wiederkehr der Tugend«.  Und er zitiert Fritz Oser.  Dessen von Pfeifer auf S. 340 a.a.O. zitierte Haltung im Jahr 2001 in diesen Fragen ist m. E auch eine Folge der diesbezüglichen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen über die Qualifikationen für das Lehren in den Schulfächern LER, Werte und Normen sowie Ethik seit 1992 . Oser resümiert: »... so kann gezeigt werden, dass auch moralische Einstlellung mehr ist als moralisches Wissen. Heute kann allgemein angenommen werden, dass moralische Tiefenstrukturen, die moralisches Handeln tragen, etwas anderes sind, als moralische Inhalte; es sind vom Subjekt selbst erarbeitete Schemata, die sein Denken steuern. Handlungstheorien zeigen, dass moralische Akte an solche Schemata und an Verpflichtungs- und Verantwortungsgefühle gebunden sind“.
[29]     Vgl. u.a. zu den Wirkungen dieses Teil der LER-Lehrerbildung:  R. Priese (1997): Lernen und soziale Verantwortung – zur Lehrerbildung im Projekt „Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde, Psycho-Sozialverlag Giessen. Und vgl. die dort mitgeteilten Methoden zum sozialen Lernens.
[30]   Denn nur durch eine annähernde Kenntnis über das bio-psycho-soziale Entwicklungsprogramm gesunder Kinder und ein daran gemessenes Wissen um die tatsächliche Entwicklungsgeschichte eines jeden Schülers und einer jeden Schülerin von Beginn seines und ihres Lebens an, die Wahrnehmung der Traumata in vielen  (früh-) kindlichen Entwicklungen - , kann eine Lehrkraft annähernd das Verhalten der jungen Menschen verstehen, ihnen entsprechend wertungsfrei begegnen und die je Anderen zu solcher Achtung anleiten.
[31]
  ... etwa die nach einem gesunden, stressarmen  (z. B. auch Alkohol-, Drogen- und nikotinfreien) Uterus, nach Gewolltsein, Verständnis während Schwangerschaft und  Geburt, durchgehender Wertschätzung, Zugehörigkeit, Schutz, (Körper-)-Kontakt, Kontinuität, Grenzen und Autonomie. Denn die Sättigung solcher Grundbedürfnisse in der frühesten und frühen Kindheit ist die wichtigste Grundlage des späteren Vermögens, das Leben zu genießen und  erst so - verantwortlich zu handeln.


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