Ruth Priese
Ruth Priese     Körper- und systemisch orientierte Begleitung von kleinen und grossen Menschen

                                                           MITERLEBTE GESCHICHTEN


Kay  ».. lass alles ´raus! Das machst Du ganz schön!«

wurde lange sehnlich erwartet, nachdem seine Eltern schon 10 Jahre zusammen gewesen waren. »Wir haben vier Jahre lang darum gekämpft«, formulierte die Mutter.
Einen Monat, nachdem eine, ihr sehr vertraute Cousine plötzlich gestorben war, wurde sie unerwartet schwanger. Die Eltern waren »überglücklich«. Körperlich sei es ihr »sehr gut« gegangen, ärztlich »alles wunderbar«.
Kays Geburt wurde in der 41. Schwangerschaftswoche wegen zu wenig bzw. keinem Fruchtwasser mit Wehentropf eingeleitet – ca. 36 Stunden vor seinem Geholtwerden. Die Nabelschnur war um Kays Hals geschlungen und abgedrückt.
Die Mutter »klappte« in den letzen Stunden vor der Sectio mehrmals »weg«. In wachen Momenten habe sie geäussert: »ich schaff das nicht, ich brauche einen Kaiserschnitt --- Hilf mir-- «.  Dann sei sie wieder »weggekippt«.  Sie habe 2 ½ Stunden in den Presswehen gelegen. Ein Kaiserschnitt sei von der diensthabenden Hebamme mit den Worten abgelehnt worden: »......da kann ja jeder kommen«. Eine andere Hebamme habe ihr geraten: »Bestehen Sie auf einem Kaiserschnitt!« – .
Während Kay dann endlich geholt wurde, habe er – »noch im Bauch der Mutter« – laut geschrien. Der Papa habe ihn dann zuerst auf seinen Armen gehalten. Dann sei er auf die Brust der Mutter gelegt worden und habe schnell getrunken.
Kay habe auf der Geburtsstation 4 Tage und Nächte lang geweint, was die Schwestern dort nur auf seinen Hunger zurückgeführt hätten. Als er in die elterliche Umgebung zurückkam, habe er 8 Stunden hintereinander geschlafen. Die Eltern haben dies geachtet-- , ihn nicht geweckt!!! Nach zwei unruhigen Tagen habe er wiederum 10 Stunden lang hintereinander geschlafen.
Die Familie kam am Ende von Kays 5. Lebensmonat zu dritt zu mir, nachdem er und die Mutter bei einer jungen Kollegin in einer Gruppe über Wochen hinweg die sanfte Babymassage nach Eva Reich erlernt hatten. Durch diese sanften, langsamen und einfühlsamen Berührungen war Kays Vertrauen in eine verständnisvolle Umwelt vermutlich erwacht. Schockstarre in seinem Körper nach dem Erlebten hatte sich offenbar zu lösen begonnen: Er hätte seit 1 1/2 Wochen nachmittags – der Zeit seiner Geburt – stets »sehr sehr heftig« und lange geweint, sich nach hinten durchgebogen und stark mit den Füssen gestossen, sodass die Eltern an die Grenze ihrer Kräfte gekommen waren. Der Vater war bei unserer ersten Begegnung noch voller Wut auf die während der Geburt verantwortliche Hebamme und meinte im Blick auf sein Kind, er habe das Gefühl: »da stimmt doch etwas nicht«.
Schon bei diesem unserem ersten Treffen erzählte uns Kay mit seinen Bewegungen und mit seiner Stimme von seinem erlebten Schmerz, seinen ausgestandenen Ängsten und der erlittenen Überwältigung. Er wurde dabei von seinen Eltern und mir begleitet. Er weinte schmerzlich, noch gedrückt, stiess sich zunächst von den Händen des Vaters, dann von der Mutter ab und schob sich auf der Matte in meine Hände hinein – über eine Zeit von etwa 30 Minuten hinweg. Die ganze Zeit über redeten wir mit ihm, die Mutter lieb – und verständnisvoll mit den Worten: »lass alles raus! Das machst Du ganz schön!«. Nach diesem anrührenden Prozess war Kay wie ausgewechselt und jauchzte uns vergnügt und dankbar an. Zu hause sei das heftige Weinen dann mehrfach wieder geschehen. Es habe »genauso geklungen wie bei der Geburt«, meinte der Vater.
Auch in den Sitzungen 2-6 jeweils nach einer Woche weinte Kay heftig, sich schiebend mit weit offenen Augen und er hörte unseren bestätigenden Worten erwartungsvoll zu. Zunächst klang es in meinen Ohren zeitweise ein wenig stereotyp, später immer fliessender, lebendiger. Kays Weinen zuhause sei von Woche zu Woche weniger – , sein Schlafen besser geworden. Er lächelte am Ende seines 7. Monats oft, beglückte uns mit fröhlichen Tönen und hatte deutlich Vergnügen am Drehen, an anderen Vorformen des Krabbelns, an Bewegungs- und Kontaktspielen, die er selbst initiiert. Auch in der 7. und 8. Sitzung weinte er nicht mehr.
Hat er uns genug erzählt und fühlt er sich ausreichend verstanden?
In der 9. Sitzung, am Ende seines 8. Monats waren wir so voller Glück über sein, die ganze Zeit anhaltendes vergnügtes, ausgelassenes Robben, sich Drehen, sein Erkunden des ganzen Raumes, sich Beschäftigen mit Dingen, sein zufriedenes Erzählen und sein strahlendes Lächeln mit glänzenden, verschmitzten Augen, dass ich nun gewiss bin, Mutter und Kind haben »integriert«, was geschehen war.


Und hiermit danke ich Kays Eltern sehr herzlich, diesen Bericht hier veröffentlichen zu dürfen.    R.P.



zum Seitenanfang

zur Übersicht